Immer wieder liest man in den Medien von Unternehmen, die ohne Chef auskommen und in denen Mitarbeiter das operative und organisatorische Geschäft bestreiten. Doch wie viele dieser Erfolgsgeschichten sind reines Marketing und in welchen Firmen haben sich diese Prozesse wirklich durchgesetzt. Werfen wir einen Blick auf die verschiedenen Branchen und Lösungen.
Firmen ohne Chef: Beispiele aus der Praxis
Die Suche nach Firmen ohne echten Chefposten ist denkbar simpel. Doch neben vielen Firmen, die diese Aussage nur als Werbe-Aushängeschild nutzen, gibt es einige, die den Medien einen tieferen Blick erlaubt haben.
Zum Beispiel die Wiener Technologie-Firma Tele Haase. Diese zeigt, dass eine Umstellung von einer starren Hierarchie auf eine Unternehmenskultur ohne Chef nicht ohne Reibungsverluste vonstattengeht.
Wie Geschäftsführer Markus Stelzmann berichtet, haben einige Mitarbeiter die Firma verlassen, weil diese Form der Arbeit nicht gewünscht wurde. Auch hat die Umstellung das Unternehmen rund 2,5 Millionen Euro Umsatz gekostet, da die gemeinsame Entscheidungsfindung eine Neuausrichtung des Unternehmens zur Folge hatte.
Dennoch ist der Geschäftsführer mit der aktuellen Situation zufrieden und sieht das Unternehmen auf einem guten Weg.
Ein weiteres Beispiel ist das brasilianische Unternehmen Semco, das bereits seit den 1980iger Jahren ohne klassische Chef-Strukturen auskommt. Auch die Schweizer Internet-Agentur Liip kann als Beispiel dienen. Rund 140 Mitarbeiter organisieren sich hier selbst und übernehmen die Kontrolle über Budgets und Kennziffern in Eigen-Organisation.
Fehler und Probleme: Ohne Chef Verantwortung übernehmen
Auch in Unternehmen ohne Hierarchien und Chefs kann es zu Fehlern und zu Problemen kommen. In klassischen Unternehmensstrukturen würden solche Probleme von Chefs gelöst. Diese würden als Mediator agieren oder die Situation ganz klassisch von oben herab lösen.
In Unternehmen ohne Chefs muss anders vorgegangen werden, damit „der Laden läuft“:
- Regelmäßige Feedback-Runden
- Klare Verantwortlichkeiten einzelner Teams und Mitarbeiter für die eigenen Leistungen und Fehler
- Gemeinsam erarbeitete Regeln für Reaktionen auf Fehler oder Fehlverhalten
- Von allen gemeinsam getragene Konsequenzen
- Somit können auch Kündigungen vom Kollektiv ausgesprochen werden, die durch den formal vorhandenen Geschäftsführer ausgeführt werden.
Sind diese Konzepte in allen Branchen denkbar?
Grundsätzlich lässt sich diese Frage kaum beantworten. Vor allem in Technologie-Branchen und in Branchen mit vor allem Schreibtisch-Arbeit lassen sich diese Konzepte sehr einfach implementieren.
In vielen Unternehmen mit eigener Fertigung und mit vielen Mitarbeitern mit unterschiedlichem Ausbildungsgrad kann es hingegen schwierig sein, da hier fehlende Hierarchien schnell zu Fehlentscheidungen führen können.
Für ein Unternehmen ohne Chef in diesen Branchen ist es wichtig, dass sich die meisten Mitarbeiter vom Stand der Ausbildung her auf einem ähnlichen Niveau befinden. So können „Standesdünkel“ effektiv vermieden werden. Zudem fällt die Willensbildung und die Kontrolle innerhalb der Teams einfacher, da grundsätzlich flachere Hierarchien etabliert sind.
Nicht jeder Mitarbeiter wünscht eine Firma ohne Vorgesetzte
Es zeigt sich insgesamt, dass nicht jeder Mitarbeiter mit einer Veränderung der Firmenstruktur einverstanden sein wird. Denn eine Arbeit ohne einen direkten Chef und Vorgesetzten ist anstrengender und verlangt viel mehr Verantwortungsbewusstsein von jedem Mitarbeiter.
Sich auf Kosten der anderen Mitarbeiter einen „faulen Lenz“ zu machen ist nicht möglich, da alle Arbeiten vom Team und somit vom Kollektiv überwacht werden. Jeder muss sich gleichermaßen einbringen, kann sich dafür aber auch kreativer entfalten und eigene Ideen in die verschiedenen Prozesse implementieren.
Was halten Sie von einem Unternehmen ohne Chef? Würden Sie gerne in einer solchen Firma arbeiten? Wo sehen Sie die besonderen Herausforderungen? Wir freuen uns auf Ihren Kommentar!
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