Hilferufe von Lehrern, dramatische Medienberichte und auch der Bildungsmonitor 2023 der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) warnt: Die Bildungsarmut in Deutschland nimmt zu. Seit 2013 sei das Bildungsniveau beständig zurückgegangen, so die Autoren. Zudem habe sich die Abhängigkeit zwischen Bildungserfolg und sozialer Herkunft vertieft.
Wie ist es wirklich um den Bildungsstand in Deutschland bestellt? Eine Übersicht.
Bildungsstand in Deutschland: Die Ist-Situation
Informationen über den Bildungsstand der in Deutschland lebenden Menschen gibt das Bundesamt für Statistik heraus.
Laut der letzten Erhebung von 2019 ergeben sich für Personen ab 15 Jahren die folgenden Zahlen:
- 33,5 Prozent aller über 15-Jährigen verfügen über die Hochschulreife.
- 28,6 Prozent haben die Haupt- oder Volksschule abgeschlossen.
- 23,5 Prozent haben einen mittleren Bildungsabschluss erreicht.
- 6,5 Prozent haben einen Abschluss an einer polytechnischen Oberschule gemacht.
- Nur 4,0 Prozent haben keinen allgemeinbildenden Schulabschluss.
- 46,6 Prozent haben eine Berufsausbildung abgeschlossen.
- 18,5 Prozent verfügen über einen Hochschulabschluss.
Bei genauerer Analyse der Daten zeigt sich, dass die Zahl der Abiturienten und auch die Akademikerquote in Deutschland steigen. Mittlerweile hat mehr als die Hälfte der 20- bis 24-Jährigen Abitur. Im Gegenzug hat jedoch auch der Anteil der Menschen, die über gar keinen Bildungsabschluss verfügen, in den letzten Jahren wieder zugenommen.
Große Unterschiede gibt es beim Bildungsstand der Geschlechter. So verfügen etwa 62,8 Prozent der 20- bis 24-jährigen Frauen ohne Migrationshintergrund über die Fachhochschul- oder Hochschulreife.
Bei den Männern im gleichen Alter sind es 53,1 Prozent. Unter den jungen Frauen mit Migrationshintergrund besitzen 51,1 Prozent die Fachhochschul- oder Hochschulreife, bei den Männern 42,7 Prozent.
Deutschland im internationalen Vergleich
Die steigende Zahl an Abiturienten erscheint zunächst positiv. Doch wie ist es um die Bildung von Deutschlands Kindern und Jugendlichen im internationalen Vergleich bestellt?
Eine vom Münchner ifo Institut durchgeführte Untersuchung kommt zu keinem positiven Ergebnis. Demnach ist in Deutschland der Anteil an Kindern und Jugendlichen, denen es an grundlegenden Kompetenzen im Schreiben, Lesen und Rechnen mangelt, mit 23,8 Prozent relativ groß.
Im internationalen Vergleich steht Deutschland auf Platz 30. Der erste Platz geht an China, wo es nur 6,5 Prozent der Schülerinnen und Schüler an grundlegenden Kompetenzen fehlt, gefolgt von Macau (6,9 Prozent) und Singapur (8,1 Prozent). Bestes europäisches Land ist Estland auf Platz 4 (10,5 Prozent).
Die Autoren der Studie bezeichnen die Ergebnisse als „beunruhigend“. Die in der Schule vermittelten grundlegenden Fähigkeiten würden die Basis für die späteren Lebenschancen der Kinder legen. Der Lernverlust von einem Drittel Schuljahr bedeute im Durchschnitt ein um 3 Prozent geringeres Erwerbseinkommen über das gesamte Berufsleben hinweg. Das habe auch Auswirkungen auf die Volkswirtschaft. Nach der Berechnung der Autoren könnte der Lernverlust zu einem um durchschnittlich 1,5 Prozent niedrigerem Bruttoinlandsprodukt führen.
Herausforderungen für das deutsche Bildungssystem
Welchen Herausforderungen das deutsche Bildungssystem gegenübersteht, zeigt der 9. Nationale Bildungsbericht 2022. Aktuell gilt es für die Schulen vor allem, die Folgen der Corona-Pandemie zu bewältigen. Zudem steigt die Geburtenrate wieder und die Schülerschaft ist deutlich heterogener als früher. Unter anderem kommen Flüchtlinge aus der Ukraine neu in die Klassen.
Eine der wesentlichen Aufgaben für Kitas und Schulen ist daher die Inklusion, nicht nur von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, sondern auch von Schülerinnen und Schülern aus bildungsfernen Schichten.
Wie der Bildungsbericht der INSM warnt, gelinge dies bisher noch nicht. Die Ergebnisse von Kindern mit Migrationshintergrund und aus bildungsfernen Haushalten hätten besonders stark abgenommen.
Positive Entwicklungen im Bildungssystem
Bei aller Kritik gibt es auch einige positive Meldungen aus dem deutschen Bildungssystem:
- Die Bildungsausgaben sind gegenüber 2019 um 0,5 Prozentpunkte auf nun 241 Milliarden Euro gestiegen.
- Die Zahl der Bildungsteilnehmer stieg im Vergleich zu 2010 um 4 Prozent.
- Auch die Zahl der formalen Bildungseinrichtungen ist gegenüber 2010 um 4 Prozent gestiegen, insbesondere durch den Ausbau der Kinderbetreuung und Hochschulstandorte.
- Die Zahl der Ganztagsschulen hat zugenommen und lag im Schuljahr 2020/21 bei 71 Prozent. Im selben Schuljahr nahm mehr als die Hälfte aller Grundschulkinder die Ganztagsbetreuung in Anspruch.
Ebenfalls erfreulich ist, dass die große Mehrheit der jungen Menschen in Deutschland ihrer beruflichen Zukunft positiv entgegenblickt. Das geht aus einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung hervor, deren Ergebnisse im Dezember 2023 vorgestellt wurden.
88 Prozent der Befragten zwischen 14 und 21 Jahren schätzen ihre beruflichen Zukunftsaussichten positiv oder eher positiv ein. Nur rund jeder Zehnte hat negative Erwartungen. Allerdings fühlt sich nur knapp ein Drittel (31 Prozent) der jungen Menschen von der Schule gut oder sehr gut auf das spätere Berufsleben vorbereitet.
Prognose: Es braucht mehr qualifiziertes Lehrpersonal
Um dem wachsenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken, ist Deutschland auf gut ausgebildeten Nachwuchs angewiesen. Damit Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Haushalten und mit Migrationshintergrund nicht zurückbleiben, braucht es vor allem qualifiziertes Lehrpersonal.
Wie dem Bildungsbericht 2022 zu entnehmen ist, hat die Zahl des Personals in Einrichtungen der frühkindlichen Bildung sowie in den allgemeinbildenden Schulen und Hochschulen seit 2010 auch deutlich zugenommen.
Zugleich ist aber die Anzahl der zu betreuenden Kinder gestiegen, wodurch sich die Betreuungsrelation qualitativ kaum verbessert hat. Mit dem Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung im Grundschulbereich wird der Bedarf an Fachkräften weiter steigen.
Die wichtigste Aufgabe für die Sicherung eines hochwertigen Bildungsangebotes sehen die Autoren des Berichts daher in der Personalgewinnung und Personalqualifizierung.
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