Gegenseitigkeitsprinzip

„Wie du mir, so ich dir.“ Dieser Gedanke bildet den Grundsatz für das sogenannte Gegenseitigkeitsprinzip. Allerdings nicht etwa in Form von Rache-Fantasien, sondern in einer durchaus positiven Variante.

Was genau es mit dem Gegenseitigkeitsprinzip auf sich hat und wie Sie es für Ihre Karriere nutzen können, verrät dieser Artikel.

Was ist das Gegenseitigkeitsprinzip?

Das Gegenseitigkeitsprinzip beschreibt den Wunsch des Menschen, ein Gleichgewicht in der sozialen Interaktion herzustellen. In der Praxis bedeutet das, dass sich Geben und Nehmen in Waage halten. Dahinter steckt das psychologische Grundbedürfnis, nicht in der Schuld eines anderen Menschen zu stehen. Das Gegenseitigkeitsprinzip wird daher auch als Schuld-Trick bezeichnet, ist aber nicht so negativ besetzt, wie es dieser Begriff vermuten lässt.

Tatsächlich versuchen die meisten Menschen ganz unbewusst, ein ausgeglichenes Verhältnis in ihren sozialen Interaktionen zu erreichen – sowohl im Privatleben als auch im Beruf. Tritt ein Ungleichgewicht auf, weil eine Person mehr gibt als sie zurückerhält, entsteht Unzufriedenheit.

Der „Gebende“ fühlt sich ausgenutzt, während der „Nehmer“ ein schlechtes Gewissen entwickelt. Für gewöhnlich möchten wir nämlich nicht nur vermeiden, in der Schuld eines anderen zu stehen, wir möchten die Menschen in unserem Umfeld auch nicht ausnutzen.

Das Gegenseitigkeitsprinzip im Beruf

Das Gegenseitigkeitsprinzip findet sich kulturübergreifend in allen Ländern und ist vermutlich so alt wie die Menschheit selbst.

Verkäufer nutzen das Gegenseitigkeitsprinzip zum Beispiel, wenn sie Gratisproben verteilen oder einen Preisnachlass gewähren. Kunden fühlen sich dadurch in der Verpflichtung, etwas zu kaufen, um das Verhältnis von Geben und Nehmen auszugleichen.

Häufig kommt das Gegenseitigkeitsprinzip auch bei der Verhandlungsführung zum Einsatz. Der Verhandelnde macht dem Gegenüber kleine Zugeständnisse. Das Gegenüber fühlt sich dadurch in der Schuld, seinerseits auf den Verhandlungsführer zuzugehen.

So setzen Sie das Gegenseitigkeitsprinzip für Ihre Zwecke ein

Setzen Sie sich bewusst mit dem Gegenseitigkeitsprinzip auseinander, bringt Ihnen das gleich zwei Vorteile: Zum einen verbessern Sie Ihr Verhandlungsgeschick, zum anderen lernen Sie, Manipulationsversuche zu erkennen und zu kontern.

Möchten Sie das Gegenseitigkeitsprinzip aktiv nutzen, um ihre Karriere zu fördern, können Sie sich verschiedener Strategien bedienen:

  1. Guter Bulle, böser Bulle
    Das Prinzip ist aus TV-Krimis bekannt: Eine Partei spielt den „bösen Bullen“ und tritt aggressiv auf. Die andere Partei gibt den „guten Bullen“ und behandelt das Gegenüber freundlich. Auf diese Weise wird beim Gegenüber eine Dankesschuld erzeugt.
    Bei Verhandlungen mit Geschäftspartnern wird die Rolle des „bösen Bullen“ häufig von Anwälten oder externen Beratern übernommen, mit denen das Gegenüber nicht oft zu tun hat. Sie schlüpfen in die Rolle des „guten Bullen“ und gewinnen dadurch das Vertrauen des Geschäftspartners.
  2. Bogey-Trick
    Der Bogey-Trick ist eine alte Verkäufer-Strategie. Er basiert darauf vorzugeben, dass etwas Unbedeutendes von großem Gewicht sei. Ein Beispiel: Ein Kunde wünscht die sofortige Lieferung eines Produkts. Das Lager ist auch tatsächlich gut gefüllt, dem Wunsch wäre also einfach nachzukommen.
    Um sich jedoch einen Vorteil zu verschaffen, tut der Verkäufer so, als ob die sofortige Lieferung mit großem Aufwand verbunden sei. Dennoch gebe er sein Bestes, den Kundenwunsch zu erfüllen. Als Entgegenkommen kann er nun etwa einen höheren Stückpreis oder die Abnahme einer höheren Stückzahl verlangen.
    Eine Abwandlung des Bogey-Tricks ist der Decoy-Trick, der mit frei erfundenen Zugeständnissen arbeitet.
  3. Hyperbolic Discounting
    Die Hyperbolic Discounting genannte Strategie basiert auf Geduld. Sie legt nahe, dass Verhandlungsführer erfolgreicher sind, wenn sie sofort Zugeständnisse leisten, aber auf die Gegenleistung warten können.
    Die meisten Menschen neigen dazu, sofortigen Nutzen zu überschätzen, während sie zukünftigen Nutzen unterschätzen. Wer zukünftige Gegenleistungen dagegen richtig einschätzt, kann oft höhere Gewinne erzielen.
  4. Prospect Theory
    Die Prospect Theory geht davon aus, dass Menschen glücklicher sind, wenn ihnen angenehme Dinge schrittweise widerfahren. Wer zwei Tage hintereinander einen 10-Euro-Schein findet, fühlt sich glücklicher, als wenn er an einem Tag einen 20-Euro-Schein findet. Für Verhandlungen im Beruf bedeutet das: Es ist besser, Zugeständnisse einzeln statt als ein Service-Paket anzubieten.
    Genau gegensätzlich verhält es sich bei schlechten Nachrichten oder negativen Auswirkungen. Da viele kleine Rückschläge demotivieren, sollten negative Nachrichten besser auf einen Schlag überbracht werden.

Die Grenzen des Gegenseitigkeitsprinzips

Die meisten Menschen bemühen sich ganz unbewusst darum, ein Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen herzustellen. Es gibt jedoch auch Persönlichkeitstypen, die zu Extremen neigen. Unermüdliche Geber investieren viel und erwarten wenig bis gar nichts zurück. Klassische Nehmer sind nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Sie wollen möglichst viel bekommen und möglichst wenig geben.

Möchten Sie bei Verhandlungen nicht manipuliert werden, sollten Sie das Gegenseitigkeitsprinzip stets im Hinterkopf behalten. Das hilft Ihnen, die typischen Tricks leichter zu erkennen und Schuldgefühlen zu widerstehen.

Gleichzeitig sollte Ihnen bewusst sein, dass auch Ihre Geschäftspartner, Vorgesetzten und Untergebenen mit dem Gegenseitigkeitsprinzip vertraut sind. Ein Manipulationsversuch kann schnell nach hinten losgehen, wenn das Gegenüber die Strategie durchschaut. Machen Sie daher nur Zugeständnisse, die Sie halten können, und tun Sie Ihren Mitmenschen auch einmal einen Gefallen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten.

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