Die klassische Karriere wird heutzutage von Arbeitnehmern immer häufiger in Frage gestellt. Das Streben, auf der Karriereleiter Stück für Stück nach oben zu gelangen, verträgt sich kaum mit einer ausgeglichenen Work-Life-Balance. Und diese ist vielen „Karriereverweigerern“ mittlerweile deutlich wichtiger als Geld, Posten und Prestige.
Karriere – ein Konzept im Wandel
Der Begriff Karriere leitet sich vom lateinischen Wort „carrus“ (Wagen) ab und ist streng genommen die Bezeichnung für jede berufliche Laufbahn. In der modernen Gesellschaft wird Karriere aber mit einem beruflichen und daraus folgenden wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg gleichgesetzt.
Über Jahrzehnte hinweg haben sich vor allem Männer über ihren Beruf und ihre Karriere definiert. Der Job stand an erster Stelle, häufig sogar vor der Familie. Statussymbole spielten eine wichtige Rolle, getreu dem Motto „Mein Haus, mein Auto, mein Boot!“. Vielen erfolgreichen Karrieristen wurde erst im hohen Alter bewusst, dass sie im Familienleben wichtige Dinge verpasst hatten, die man nicht nachholen kann. Doch diese Form der Karriere, die lange Zeit fast als alternativlos galt, bröckelt zusehends …
Die Arbeitnehmerin und der Arbeitnehmer von heute möchte mehr Familie, mehr Freizeit, mehr Sinn, mehr Zufriedenheit und mehr Glück. Und das funktioniert nicht, wenn man eine 80-Stunden-Woche hat. Sowieso setzt sich auch in Deutschland die Erkenntnis durch, dass man den Wert eines Mitarbeiters nicht nur am Stundenzettel messen sollte. Dementsprechend sind in den letzten Jahren flexible Arbeitszeitmodelle auf dem Vormarsch.
Vereinbarkeit von Job und Sozialleben
Die Ellenbogenmentalität und der unbedingte Karrierewille sind Eigenschaften, die nicht unbedingt förderlich für eine harmonische Zusammenarbeit. Leider färben diese nicht selten auf das Privatleben ab und erschweren dort das Zusammenleben. Nach einem langen und harten Arbeitstag ist es nicht verwunderlich, dass die Energie für Familie, Freunde und Hobbys fehlt. Doch genau diese Lebensbereiche sind es, die am ehesten zufrieden und glücklich machen können. Aus diesem Grunde verabschieden sich immer mehr Beschäftigte von dem Gedanken, unbedingt eine astreine Karriere hinzulegen.
Die Elternzeit hat dafür gesorgt, dass eine stetig steigene Zahl an Vätern sich für eine längere Zeit um die Erziehung der Kinder kümmern. Die meisten von ihnen empfinden das als Gewinn. Auch mit einer Situation, in der die Frau mehr Geld verdient, kommen Männer immer besser klar. Bis vor wenigen Jahren taten sich die Herren der Schöpfung damit eher schwer. Und viele ArbeitnehmerInnen pflegen Freundschaften intensiver und haben erkannt, dass das erfüllender ist, als in der X-ten Fortbildung zu sitzen, um beruflich voranzukommen.
Karriereverweigerung als Kapitalismuskritik
Natürlich möchte jeder Arbeitnehmer erfolgreich sein und so entlohnt werden, dass keine finanziellen Probleme entstehen. Früher mussten Unternehmen nur mit der nächsten Gehaltserhöhung um die Ecke kommen, um die Mitarbeiter zu noch größerem Engagement zu bewegen. Das hat sich geändert. „Geld ist nicht alles!“ denken sich viele ArbeitnehmerInnen und erhöhen ihrerseits die Anforderungen an den Arbeitgeber.
Ein modernes Unternehmen sollte über das monetäre hinaus einen Ort schaffen, an dem man sich wohlfühlen kann. Gesundes Essen in der Kantine, flexible Arbeitszeiten, nachhaltiges Wirtschaften, flache Hierarchien, einen möglichst hohen Grad an Selbstbestimmung sowie die Bekenntnis zu fairen Arbeitsbedingungen gehören zu den Vorstellungen vieler Fachkräfte. Ist ein Unternehmen dahingehend schlecht aufgestellt, hat es kaum Chancen, talentierte Kräfte für sich zu gewinnen.
Karriereverweigerung passt in die heutige Zeit, in der Trends wie Minimalismus, Repair Cafés und DIY-Ideen (do it yourself) einen regelrechten Boom erleben. Alle Bewegungen sind auch eine direkte Kritik an einem (Turbo)Kapitalismus, der mit seinem extremen Stresspegel viel zu oft zu gesundheitlichen Schäden wie Depressionen oder Burn-outs führt und sich in den meisten Fällen sehr negativ auf das Lebensglück auswirkt.
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