Die aktuelle Debatte um die Scheinselbstständigkeit / auf dem Foto: Ein Freelancer sitzt an seinem Schreibtisch vor seinem Notebook und macht sich mit einem Stift Notizen.

Viele Selbstständige leben in der Angst, als scheinselbstständig eingestuft zu werden und plötzlich hohe Nachzahlungen leisten zu müssen. Eine Ankündigung der Deutschen Rentenversicherung (DRV) hat diese Sorgen weiter befeuert: Künftig soll eine Künstliche Intelligenz Betriebsprüfer dabei unterstützen, Scheinselbstständige aufzuspüren. Die Fallzahl könnte sich dadurch massiv erhöhen.

Wir geben einen Überblick über die aktuelle Diskussion.

Scheinselbstständig: Was bedeutet das eigentlich?

Als scheinselbstständig gelten Personen, die formal wie selbstständig Tätige auftreten, tatsächlich jedoch abhängig beschäftigt sind. So definiert es die Deutsche Rentenversicherung. In der Praxis ist der Unterschied zwischen einer selbstständigen und scheinselbstständigen Tätigkeit aber gar nicht so einfach festzumachen.

Grundsätzlich als scheinselbstständig gilt ein Selbstständiger oder Freiberufler, der keine versicherungspflichtigen Mitarbeiter beschäftigt und dauerhaft mehr als ca. 83 Prozent seiner Arbeitszeit für einen einzelnen Arbeitgeber tätig ist, dessen Aufträge 5/6 seines Umsatzes ausmachen.

Weitere Indizien für Scheinselbstständigkeit:

  • Der Auftragnehmer ist dem Auftraggeber gegenüber weisungsgebunden, muss sich also an Arbeitsanweisungen halten.
  • Der Auftragnehmer kann nicht frei über seine Arbeitszeit und seinen Arbeitsort bestimmen.
  • Der Auftragnehmer nutzt die Hard- und Software des Auftraggebers.
  • Es gibt kleine klare Abgrenzung zwischen den Aufgaben des Auftragnehmers und denen der Festangestellten.
  • Der Auftragnehmer muss dem Auftraggeber über seine Leistungen berichten.
  • Der Auftragnehmer tritt nach außen nicht als Selbstständiger auf, hat keine eigenen Geschäftsräume und betreibt keine Werbung oder Kundenakquise für sein Unternehmen.

Verstärkte Prüfung der Scheinselbstständig mit KI

Ob Scheinselbstständigkeit vorliegt oder nicht, wird im Einzelfall entschieden. Die Prüfung erfolgt durch den Deutschen Rentenversicherung Bund, das Finanzamt, die Sozialversicherungen oder ein Arbeitsgericht. Prüfungen können auch vom Auftraggeber oder Auftragnehmer beantragt werden, wenn Unklarheiten bestehen.

Meist wird Scheinselbstständigkeit aber im Rahmen einer Betriebsprüfung durch den Deutschen Rentenversicherung Bund festgestellt. Solche Prüfungen finden mindestens alle vier Jahre statt. Die Träger der Rentenversicherung ermitteln dabei, ob Arbeitgeber allen Meldepflichten nachkommen und ordnungsgemäß Beiträge zu den Sozialversicherungen zahlen. Pro Jahr wird dabei ein hoher dreistelliger Millionenbetrag an Nachzahlungen fällig.

In Zukunft könnte dieser Betrag noch steigen. Bislang können Betriebsprüfungen nämlich nur stichprobenartig erfolgen. Künftig soll jedoch Künstliche Intelligenz (KI) die DRV-Prüfer bei ihrer Aufgabe unterstützen. Dabei handelt es sich um ein Leuchtturmprojekt zur Digitalisierung der Verwaltung, gefördert vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

Das Projekt: Eine KI namens KIRA – Künstliche Intelligenz für Risikoorientierte

Arbeitgeberprüfungen soll die menschlichen Prüfer entlasten. Dabei macht sich die DRV zunutze, dass Arbeitgeber die für die Betriebsprüfung notwendigen Daten seit 2023 elektronisch zur Verfügung stellen müssen. KIRA scannt die digitalen Prüfunterlagen, erkennt Auffälligkeiten und vergibt einen Score für Unternehmen, bei denen eine Überprüfung zielführend erscheint.

Diese Konsequenzen drohen bei Scheinselbstständigkeit

Wird eine scheinselbstständige Tätigkeit festgestellt, hat das für Auftraggeber und Auftragnehmer ernste Konsequenzen. Auftraggeber müssen die Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer nachzahlen, die während der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses angefallen sind – rückwirkend für bis zu vier Jahre. Hinzu kommen Säumniszuschläge.

Da die selbstständigen oder freiberuflichen Mitarbeiter nun als Angestellte eingestuft werden, müssen Arbeitgeber ihnen nun zudem den gesetzlichen Kündigungsschutz, Urlaubsanspruch und Lohnfortzahlungen gewähren.

Weiterhin wird die Ausweisung der Umsatzsteuer auf den Rechnungen des Scheinselbstständigen unwirksam. Der bislang erfolgte Vorsteuerabzug ist damit unzulässig und Arbeitgeber müssen die abgezogenen Vorsteuerbeträge berichtigen und zurückzahlen.

Folgen für Auftragnehmer

Freelancer und Selbstständige, die als scheinselbstständig eingestuft werden, müssen gegebenenfalls ein Gewerbe anmelden. Zudem müssen sie in der Regel den Arbeitnehmeranteil an den nachzuzahlenden Sozialversicherungsbeiträgen übernehmen. Darüber hinaus haben sie ihre bisher ausgestellten Rechnungen zu berichtigen, die ausgewiesene Umsatzsteuer als ungültig erklären und eventuell abgezogene Vorsteuer ans Finanzamt zurückzahlen.

Im Falle von Scheinselbstständigkeit schützt Unwissenheit vor Strafe nicht. Wird allerdings vorsätzliche Scheinselbstständigkeit nachgewiesen, drohen zudem strafrechtliche Folgen, unter anderem wegen Steuerhinterziehung.

Als scheinselbstständig eingestuft – was tun?

Erhalten Sie nun von der Deutschen Rentenversicherung die Nachricht, als scheinselbstständig eingestuft worden zu sein, bewahren Sie zunächst einmal Ruhe. Das gilt auch für Unternehmen, die der Beschäftigung von Scheinselbstständigen beschuldigt werden.

Die Kriterien für Scheinselbstständigkeit sind alles andere als eindeutig und die Prüfer der DRV haben bei der Entscheidung nicht das letzte Wort. Sind Sie der Ansicht, dass die Entscheidung unberechtigt ist, sollten Sie eine Rechtsberatung aufsuchen und Widerspruch einlegen. Die Einstufung muss daraufhin nochmals überprüft werden. Die Beweispflicht, das Scheinselbstständigkeit vorliegt, liegt dabei bei der DRV. Bleibt der Widerspruch ohne Erfolg, haben Sie die Möglichkeit, Klage vor dem Sozialgericht einzulegen.

Grundsätzlich sollten Sie möglichst früh darauf achten, ob Indizien der Scheinselbstständigkeit vorliegen. Ist ein Selbstständiger stark in die Betriebsorganisation des Arbeitgebers eingebunden, arbeitet nicht oder kaum auf eigenes wirtschaftliches Risiko und unternimmt keine Aktivitäten zur Akquise und Außendarstellung, liegt der Verdacht auf Scheinselbstständigkeit nahe. Überprüfen Sie Ihren Arbeitsalltag und Ihre Dienstverträge, wie viel unternehmerische Entscheidungsfreiheit und wie viel unternehmerisches Risiko beim Selbstständigen verbleibt.

Tipp: Selbstständige sollten innerhalb von drei Monaten nach Beginn einer neuen Tätigkeit eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für die ersten drei Jahre beantragen. Bei Streitigkeiten und Unsicherheiten können Auftragnehmer wie Auftraggeber dann den Beschäftigungsstatus von der DRV überprüfen lassen.

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