Offene und halbfertige Aufgaben bleiben im Gedächtnis / auf dem Foto: auf einem Tisch und am Whiteboard angeklebte Notizzettel mit vielen Notizen bzw. Aufgaben

Zeigarnik-Effekt: Warum unerledigte Aufgaben im Kopf bleiben

Unerledigte Aufgaben lassen sich nur schwer ausblenden – nicht nur, weil der Chef sie im Blick hat, sondern vor allem, da sie uns im Kopf bleiben. Dahinter steckt ein psychologischer Mechanismus: Der sogenannte Zeigarnik-Effekt sorgt dafür, dass offene To-dos uns besonders hartnäckig im Gedächtnis bleiben.

Der Background: Was es mit dem Zeigarnik-Effekt auf sich hat

Die Geschichte des Zeigarnik-Effekts begann nicht etwa im Großraumbüro, sondern in einem Café mitten in Berlin in den 1920er Jahren. Dort beobachtete die Psychologin Bluma Zeigarnik, wie Kellner sich scheinbar mühelos merken konnten, wer was bestellt hatte: Ihr Gedächtnis spielte allerdings nur perfekt mit, solange die Bestellung noch nicht abgeschlossen war. Direkt nachdem das Essen serviert und bezahlt war, fiel die Erinnerung daran erstaunlich schnell aus dem Kopf.

Die Gestaltpsychologin Zeigarnik wollte es genau wissen. In Experimenten ließ sie Probanden Aufgaben bearbeiten. Dabei wurden einige unterbrochen, andere durften abgeschlossen werden. Das Ergebnis war eindeutig: Die unerledigten Aufgaben blieben bei den Probanden viel besser im Gedächtnis haften – und zwar nicht nur kurzfristig, sondern teilweise über einen längeren Zeitraum hinweg.

Konkret gesagt: Das ist der Zeigarnik-Effekt

Der Zeigarnik-Effekt beschreibt ein einfaches Prinzip: Unvollständige Aufgaben erzeugen eine kognitive Spannung, die erst nachlässt, wenn die Aufgabe abgeschlossen ist. Das Gehirn merkt sich also vor allem das, was noch offen ist.

Während abgeschlossene Aufgaben gedanklich abgehakt und aus dem Gehirn gelöscht werden können, sieht das bei unerledigten Aufgaben anders aus. Sobald bzw. solange ein Punkt auf der To-do-Liste halb fertig ist, bleibt er im mentalen Vordergrund. Das ist nicht nur störend, sondern kostet auch Kraft: Das Gehirn verbraucht Energie, um sich diese unerledigten Dinge zu merken, selbst wenn sie im Moment gar nicht aktiv bearbeitet werden.

Welche Bedeutung hat der Zeigarnik-Effekt für das Büro?

Im Arbeitsalltag begegnet uns der Zeigarnik-Effekt fast überall. Hier sind einige typische Beispiele:

  • das Protokoll, das nach dem Meeting liegen bleibt
  • die offene Rückfrage im Chat, die noch keine Antwort hat
  • der Angebotsentwurf, der mitten in der Kalkulation stockt
  • die Präsentation, bei der noch drei Folien fehlen
  • die halb erstellte Aufgabenkarte im Projekttool, bei der das nächste To-do unklar ist
  • die Excel-Tabelle, die zu umfangreich ist, um sie an einem Tag fertigzustellen

Diese halbfertigen Aufgaben schleichen sich ins Gedächtnis. Das passiert gerne zum unpassendsten Zeitpunkt und genau dann, wenn die Konzentration eigentlich gerade woanders gebraucht wird. Wer zu viele offene Baustellen hat, erlebt deshalb schneller eine mentale Erschöpfung und hat oft das Gefühl, nie wirklich fertig zu sein.

Besonders brisant wird es beim Multitasking, wenn drei Projekte parallel laufen, fünf Fenster geöffnet sind, die E-Mail schon angefangen ist und man dazu noch das Telefon am Ohr hat. Das gleichzeitige Bearbeiten mehrerer Aufgaben mag zunächst effizient erscheinen, es kann jedoch den Zeigarnik-Effekt verstärken: Denn wer ständig zwischen Aufgaben springt, hinterlässt überall kleine, offene Baustellen. Diese werden vom Gehirn wie Notizzettel behandelt. Man nimmt sie mit in die nächste Aufgabe, ins nächste Meeting, manchmal sogar bis nach Hause.

Welche positiven Effekte hat der Effekt?

Der Zeigarnik-Effekt lässt sich aber auch nutzen. Denn das, was im Kopf bleibt, kann auch motivieren. Ein Beispiel: Schriftsteller etwa arbeiten oft bewusst so: Sie hören mit dem Schreiben mitten im spannenden Kapitel auf. So soll der Kopf unbewusst weiterarbeiten und der Einstieg am nächsten Tag leichter fallen. Diese Vorgehensweise nach dem Motto „Aufhören, wenn es am schönsten ist“ bezeichnet man auch als Hemingway-Effekt.

Auch beim Projektmanagement mag der Zeigarnik-Effekt hilfreich sein: Wer Aufgaben sichtbar offen hält, etwa über Kanban-Boards oder digitale Task-Tools, nutzt den inneren Druck gezielt als Antrieb. Wichtig ist nur, dass Sie irgendwann tatsächlich einen Haken setzen.

Die Herausforderungen und wie sie sich meistern lassen

Nicht jeder Gedanke an eine offene Aufgabe ist produktiv. Der Zeigarnik-Effekt kann auch kippen und in Grübelei oder Schlafproblemen enden. Dann wird aus dem eigentlich sehr nützlichen Erinnerungsmechanismus eine negative Gedankenspirale.

Damit der Kopf besser loslassen kann, sind folgende Tipps hilfreich:

  • Ein aufgeschriebener Gedanke belastet das Gedächtnis weniger als ein lose im Kopf herumkreisender. Schon eine einfache Liste ist daher hilfreich, die unerledigten Aufgaben aus dem Kopf zu bekommen und den inneren Speicher zu entlasten.
  • Setzen Sie sich klare Zeitfenster, auch für Pausen. Wer weiß, dass in einer Stunde weitergearbeitet wird, parkt eine Aufgabe leichter gedanklich. Der Effekt bleibt zwar bestehen, verliert aber an Dringlichkeit.
  • Schließen Sie Aufgaben bestenfalls bewusst ab. Ist das nicht möglich, dann unterbrechen Sie sie zumindest bewusst. Denn ein klarer Schnitt ist oft zielführender als ein abruptes Aufhören. Wer Aufgaben unterbricht, streicht sie (zumindest vorübergehend) mit einer kurzen Notiz oder einem geplanten Wiedereinstieg aus dem Gedächtnis.
  • Ist eine Aufgabe am Tagesende noch nicht erledigt, hilft oft ein bewusstes Ritual mit einer kurzen Rückschau, einem digitalen „Schreibtisch-aufräumen“ oder dem klassischen Feierabend-Spaziergang. Wichtig ist: Der Kopf braucht ein klares Signal, dass heute nichts mehr offen bleibt.