Wenn es um soziale und gesellschaftliche Veränderungen geht, schaut die Welt zur Inspiration gern mal nach Skandinavien. Insbesondere nach Schweden. Dass das Land im hohen Norden auch beim Thema Arbeitszeitmodelle experimentierfreudig ist, beweist der 6-Stunden-Tag. Ein staatliches Seniorenheim in Göteborg startete 2015 ein entsprechendes Pilotprojekt. Die Pflegekräfte mussten dort nur noch sechs Stunden pro Tag arbeiten – und das bei vollem Lohnausgleich.

Das Experiment rief ein riesiges Medien-Echo hervor. Nahezu weltweit wurde über die verkürzte Arbeitszeit berichtet. Da die Testphase vor kurzem auslief, gibt es aktuell viele Meinungen über das spannende Arbeitszeitmodell.

 

Die Kritik am 6-Stunden-Tag

Die meisten Online-Portale heben hervor, dass die Pflegekräfte die verkürzte Arbeitszeit positiv bewerten. Dennoch folgen sie der Meinung der Stadt Göteborg und erklären das Projekt für gescheitert. Die Online-Ausgabe des Stern titelt z.B. Warum der 6-Stunden-Arbeitstag in Schweden nicht funktioniert. Als alleiniger Grund des Scheiterns werden die hohen Kosten für neu eingestellte Mitarbeiter genannt. Doch reicht das aus, um das Arbeitszeitmodell 6-Stunden-Tag ad acta zu legen?

Wir meinen nein! Schaut man hinter die Kulissen des Projektes, erkennt man schnell eine Mogelpackung. Die Pflegekräfte arbeiteten nämlich weiterhin acht Stunden, jedoch nur an vier Tagen. Wenn es also gar keinen wirklichen 6-Stunden-Tag gab, kann es auch keine seriösen Auswertungen geben. Schauen wir uns also lieber Unternehmen an, die ihre Mitarbeiter tatsächlich nur sechs Stunden pro Tag arbeiten lassen …

 

Das neue Arbeitszeitmodell kann funktionieren

Nur wenige Kilometer vom besagten Seniorenheim befindet sich das Sahlgrenska-Universitäts-Krankenhaus. Auch dort wurden verkürzte Arbeitstage getestet. Bei den OP-Angestellten wurde ein Zweischichtsystem eingeführt. Anstatt acht mussten die Mitarbeiter nur noch sechs Stunden arbeiten. Es wurde ein wirtschaftlicher Erfolg für das Krankenhaus. Das lag vor allem daran, dass es keine Kündigungen wegen Überlastung gab und es viel leichter wurde, qualifiziertes Personal für diese äußerst anspruchsvolle Tätigkeit zu bekommen.

Göteborg scheint das Mekka des 6-Stunden-Tags zu sein, denn auch das nächste Beispiel stammt von dort. Bereits 2003 führte eine Autowerkstatt das neue Arbeitszeitmodell ein. Aus einer Schicht wurden zwei und die Arbeitszeit für die Kfz-Mechaniker sank um zwei Stunden. Das gleiche Ergebnis: Die Mehrkosten für neue Mitarbeiter wurden schnell ausgeglichen und der Gewinn stieg. Der Hauptgrund für die erfolgreiche Entwicklung war, dass die Mechaniker konzentrierter arbeiteten und weniger Fehler passierten.

Bei den genannten Beispielen scheinen also viele Ziele erreicht worden zu sein, die Unternehmen mit der Einführung der geringeren Arbeitszeit erreichen möchten:

 

  • Work-Life-Balance (Beruf – Familie – Freizeit) verbessern
  • Konzentrationsfähigkeit und Motivation steigern
  • Produktivität und Effizienz steigern
  • Physische und psychische Belastungen reduzieren
  • Höhere Identifikation mit dem Job bzw. Unternehmen erreichen

 

Warum führt dann nicht jedes Unternehmen den 6-Stunden-Tag ein?

Die Gestaltung von Arbeitszeiten ist sehr komplex. Um das richtige Arbeitszeitmodell für ein Unternehmen zu finden, muss man etliche Faktoren berücksichtigen. Im Idealfall sollte die individuelle Lösung gesundheitsverträglich für die Mitarbeiter sein und gleichzeitig die wirtschaftliche Situation des Unternehmens verbessern (oder zumindest nicht verschlechtern).

Ein 6-Stunden-Tag ist laut Viola Diem (ZEIT-Campus) nur dann geeignet, wenn „Öffnungs- oder Produktionszeiten ausbaubar sind, eine hohe Nachfrage herrscht und Aufgaben übertragen werden können“.

Dementsprechend lautet die Antwort auf die Frage in der Überschrift:

Nein, der 6-Stunden-Tag ist nicht gescheitert. Weder in Schweden noch sonstwo. Es passt nur nicht für jedes Unternehmen.

 

Übrigens: Das Seniorenheim in Göteborg könnte eventuell mehr Erfolg haben, wenn es das 3+3-Arbeitszeitmodell einsetzt. Drei Tage arbeiten, drei Tage frei – ein Modell, das sich im Gesundheitswesen bereits bewährt hat. Und wo? Natürlich in Schweden!

 

Die gute alte 40-Stunden-Woche, 35-Stunden-Woche oder sogar 4-Stunden-Woche? Gleitzeit, Teilzeit, Home Office oder Job-Sharing? Wie arbeiten Sie bzw. wie würden Sie gern arbeiten? Wir freuen uns auf Ihren Kommentar!

 

 

Bildquelle: dolgachov / 123RF Lizenzfreie Bilder

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