Fast klingt es zu schön, um wahr zu sein: Denn welcher Angestellte würde sich nicht darüber freuen, so viele freie Tage im Jahr zu haben wie er möchte und dafür auch noch bezahlt zu werden? Unbegrenzter Urlaub ist längst kein unerfüllter Traum mehr – und dennoch hat dieser Trend in der Arbeitswelt auch Schattenseiten.
Was bedeutet es eigentlich, unbegrenzten Urlaub zu haben?
Tatsächlich ist mit unbegrenztem Urlaub genau das gemeint, was der Begriff aussagt. Gibt es ein entsprechendes Modell in einem Unternehmen, können Angestellte so viel Tage Urlaub nehmen, wie sie möchten – und das in der Regel auf Vertrauensbasis ohne vorher eine entsprechende Erlaubnis vom Chef einzuholen. Unabhängig von der Anzahl der freien Tage wird der Urlaub voll vergütet.
An die Vereinbarung, die auch in Deutschland bereits in einigen Betrieben umgesetzt wird, ist aber natürlich eine wesentliche Bedingung geknüpft: Die Arbeit muss erledigt und das vorgegebene Ziel erreicht werden. Nicht zu vergessen: Bis zum Ende des Jahres nicht genommener Urlaub verfällt und wird auch nicht verrechnet.
Urlaub for free – die Vorteile des Modells
Im Rahmen von New-Work-Modellen und dem Stichwort Work-Life-Balance scheint der unbegrenzte Urlaub nur ein weiterer Baustein zu sein, der die Zufriedenheit, die Flexibilität und die Eigenverantwortung von Mitarbeitern immer mehr in den Fokus stellt. Die Angestellten sollen ausreichend Zeit haben, sich entsprechend ihrer individuellen Bedürfnisse erholen zu können, sodass sie motiviert, produktiv und effektiv arbeiten.
Unter dem Strich, so die Überlegung der Unternehmen, könnte die Leistung bei 40 oder 50 Tagen Urlaub sogar höher sein als bei den gesetzlich vorgeschriebenen 20 freien Tagen. Als zusätzliche Pluspunkte versprechen sich Arbeitgeber in Zeiten von Fachkräftemangel zudem, potenzielle Top-Kräfte anzuwerben und diese möglichst langfristig zu halten.
Ein weiterer Aspekt ist der geringere Verwaltungsaufwand. Mit dem Wegfall der Genehmigungsverfahren sowie der Dokumentation und Kontrolle über die Urlaube der einzelnen Mitarbeiter lässt sich einiges an Personalkosten einsparen. Nicht genommener Urlaub bei Kündigung oder am Ende des Jahres muss zudem nicht ausgezahlt werden.
Die Vorteile im Überblick:
- höhere Produktivität
- zufriedene Mitarbeiter
- Urlaub nach Bedarf
- mehr Flexibilität und Eigenverantwortung
- geringere Personalkosten
- Instrument, um Fachkräfte zu gewinnen und zu halten
Zu hoher Druck – die Nachteile der Regelung
Auch wenn es auf den ersten Blick nicht danach aussieht, kann es bei der Regelung tatsächlich einen Haken geben. Dabei sind es weniger die Unternehmen, die Angst vor Missbrauch und dauerurlaubenden Angestellten haben. Das Risiko liegt eher auf der Seite der Arbeitnehmer: So kann die scheinbare Eigenverantwortung und Flexibilität auch einen enormen Druck bei den Mitarbeitenden auslösen. Aus Angst, als faul betrachtet zu werden und das Angebot auszunutzen und zu missbrauchen, scheuen sich einige jetzt sogar, Urlaub zu nehmen. Andere möchten vielleicht ihre Kollegen nicht im Stich lassen und befürchten Ausgrenzung und Lästereien.
Gleichzeitig nehmen sich einige Arbeitnehmende eventuell sogar bewusst weniger frei, um ihr hohes Engagement und ihren Fleiß vor dem Vorgesetzten unter Beweis zu stellen. Andere sind schlichtweg mit der Freiheit überfordert, können nicht einschätzen, wie viel Urlaub als angemessen gilt und brauchen stattdessen feste Strukturen, an denen sie sich orientieren können.
Die Nachteile im Überblick:
- hoher Druck
- Schuldgefühle gegenüber Kollegen
- Angst vor dem Karriere-Aus
- nicht für jeden Mitarbeiter geeignet
- Konkurrenzdruck innerhalb der Belegschaft
Eine ideale Lösung? Diese Voraussetzungen müssen erfüllt sein
Damit der unbegrenzte Urlaub tatsächlich ein Benefit für beide Seiten ist, bedarf es etwas mehr als lediglich einer entsprechenden Klausel im Arbeitsvertrag. Wichtig ist vor allem die offene Kommunikation und ein fairer Umgang miteinander. Wenn Mitarbeitende sich lediglich mit einem schlechten Gewissen Urlaub nehmen, bei jedem freien Tag das Gefühl haben, eine Karrierechance zu verpassen oder gar die Kündigung serviert zu bekommen, dann läuft definitiv etwas schief.
Vor allem bei zögernden Mitarbeitern sind jetzt die Vorgesetzten gefragt: Sie sollten nicht nur unbedingt darauf achten, dass ihre Angestellten mindestens die gesetzlich vorgeschriebenen Urlaubstage nehmen, sondern sie sogar dazu ermutigen, sich auch mal eine kurze Auszeit vom Job zu nehmen. Wie auch in anderen Bereichen gehen Chefs idealerweise mit gutem Beispiel voran und gönnen sich auch selbst ihren wohlverdienten Urlaub: Denn sagt der Vorgesetzte selbst auch mal für drei Wochen am Stück Tschüss, dann ist das schlechte Gewissen bei den Angestellten mit Sicherheit weniger groß, wenn man ähnliche Pläne hat und diese umsetzen möchte.
Aus Unternehmenssicht lohnt es sich zudem, die Flexibilität etwas einzuschränken: So könnte eine entsprechende Regelung zum Beispiel vorsehen, dass die freie Urlaubswahl im Falle einer Kündigung keinen Bestand mehr hat. Ansonsten wäre das Risiko groß, dass die Mitarbeitenden ab dem Tag der Kündigung sich einfach freinehmen. Darüber hinaus macht abhängig von der Betriebsstruktur auch ein Antrags- und Genehmigungsverfahren Sinn: Damit lässt sich ausschließen, dass plötzlich alle Angestellten gleichzeitig urlauben wollen und niemand mehr im Büro wäre.
Die Voraussetzungen im Überblick:
- klare Kommunikation
- Einhalten der gesetzlichen Regelungen
- Bedürfnisse der Mitarbeiter im Blick behalten
- feste Strukturen festlegen
- Vorgesetzte mit Vorbildfunktion
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