Scheinselbstständigkeit

Scheinselbstständigkeit gilt es zu vermeiden – so lautet ein häufiger Ratschlag für Selbstständige und Freiberufler. Doch was ist eigentlich Scheinselbstständigkeit?

Die Antwort auf diese Frage gestaltet sich komplex, da es keinen einheitlichen Rechtsbegriff gibt. Ob Scheinselbstständigkeit vorliegt oder nicht, wird vielmehr anhand vieler verschiedener Kriterien beurteilt.

Scheinselbstständigkeit – die rechtliche Definition

Je nach Definition gibt es zwischen 235.000 und 436.000 Scheinselbstständige in Deutschland. Das hat eine Studie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aus dem Jahr 2018 festgestellt.

Wie lässt sich Scheinselbstständigkeit nun definieren? Laut Deutschem Rentenversicherung Bund liegt Scheinselbstständigkeit vor, wenn eine Person zwar auf dem Papier selbstständig tätig ist, tatsächlich aber in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zum Kunden steht.

Von einem scheinselbstständigen Arbeitsverhältnis profitieren vor allem Arbeitgeber, da sie für selbstständige und freiberufliche Arbeitskräfte keine Sozialversicherungsbeiträge abführen müssen. Selbstständig tätigen Kräften muss zudem kein Mindestlohn gezahlt werden. Scheinselbstständige verdienen dadurch oft weniger als ihre fest angestellten Kollegen.

Merkmale einer Scheinselbstständigkeit

Bis zum Jahr 2003 galt die sogenannte „Vermutungsregelung“. Dabei wurde ein Beschäftigungsverhältnis als abhängig angesehen, wenn drei von fünf gesetzlich geregelten Merkmalen erfüllt waren.

Heute gestaltet sich die Überprüfung von Arbeitsverhältnissen komplexer. Wichtige Kriterien, um das Vorliegen von Scheinselbstständigkeit zu beurteilen, sind vor allem:

  • Weisungsgebundenheit gegenüber dem Auftraggeber, zum Beispiel die Vorgabe von festen Arbeits- und Urlaubszeiten
  • Berichterstattungspflicht gegenüber dem Auftraggeber
  • Längere Tätigkeit für einen Auftraggeber
  • Verpflichtung zur Auftragsannahme
  • Tätigkeit in den Betriebsräumen des Auftraggebers und Nutzung von betriebseigenem Arbeitsmaterial, etwa Firmencomputern
  • Leistungen dürfen nur in eigener Person erbracht und nicht an andere Fachkräfte weitergegeben werden
  • Fehlen eines eigenen Unternehmensauftritts mit Geschäftsräumen, Visitenkarten, Briefpapier etc.
  • Gleichbehandlung mit den angestellten Beschäftigten des Betriebs

Treffen ein oder zwei dieser Merkmale zu, bedeutet das noch nicht, dass Scheinselbstständigkeit vorliegt. Vielmehr ist die gesamte Situation des Beschäftigungsverhältnisses zu überprüfen.

Ein typisches Beispiel für eine scheinselbstständige Beschäftigung: Eine Webdesignerin war längere Zeit im Mutterschaftsurlaub. Nach der Elternzeit erhält sie von einem ehemaligen Arbeitgeber einen Werksvertrag auf selbstständiger Basis. Tatsächlich arbeitet sie in den Firmenräumen, ist allein für diesen Arbeitgeber tätig und muss sich an feste Arbeitszeiten halten.

Info: Die 5/6-Regelung
Erzielen Selbstständige 5/6 ihres Umsatzes durch einen einzigen Auftraggeber, kann die Rentenversicherung das Arbeitsverhältnis als „arbeitnehmerähnlich selbstständig“ einstufen und Beitragsnachzahlungen für die letzten vier Jahre verlangen.

Konsequenzen einer Scheinselbstständigkeit

Durch scheinselbstständige Arbeitsverhältnisse gehen den Sozialversicherungen Beiträge und dem Finanzamt Steuern verloren. Der Deutsche Rentenversicherung Bund sowie weitere Sozialversicherungen, das Finanzamt und das Arbeitsgericht sind daher dazu befugt, Arbeitsverhältnisse zu überprüfen.

Die Scheinselbstständigkeit kann für Auftraggeber und Auftragnehmer schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen:

  • Auftraggeber müssen Sozialversicherungsbeiträge inklusive Säumniszuschläge für die letzten vier Jahre zahlen.
  • Es sind Lohnsteuernachzahlungen für die letzten vier Jahre zu leisten.
  • Bei vorsätzlicher Scheinselbstständigkeit drohen Bußgelder und Rückzahlungsforderungen für bis zu 30 Jahre.
  • Es kann zur Strafverfolgung aufgrund von Steuerhinterziehung kommen.
  • Für Auftragnehmer wird der Vorsteuerabzug unwirksam und sie müssen Vorsteuerbeträge zurückzahlen.

Ab Feststellung der Scheinselbstständigkeit ist die Beschäftigung zudem im Angestelltenverhältnis fortzuführen, mit allen Rechten und Pflichten.

Scheinselbstständigkeit vermeiden

Gründer, aber auch Auftraggeber sind also tatsächlich gut beraten, scheinselbstständige Beschäftigungsverhältnisse zu vermeiden.

Beim Aufsetzen von Dienstverträgen sollten Selbstständige und Freiberufler darauf achten, dass sie ihre unternehmerische Entscheidungsfreiheit behalten. Selbstverständlich können Auftraggeber Abgabefristen festlegen und Nachweise über die geleistete Arbeitszeit verlangen. Die genauen Arbeitszeiten sollten Selbstständige jedoch frei festlegen können. Außerdem empfiehlt es sich, eigene Tools zur Aufwandserfassung und Rechnungsstellung zu nutzen.

Ob ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis vorliegt, können Auftraggeber und Auftragnehmer vom Deutschen Rentenversicherung Bund überprüfen lassen. Gemäß § 7a des IV. Sozialgesetzbuches dürfen sie ein sogenanntes Statusfeststellungsverfahren beantragen. Es ist ratsam, diesen Antrag entweder vor dem Beginn der Beschäftigung oder möglichst früh im Beschäftigungsverhältnis zu stellen und einen kompetenten Rechtsbeistand hinzuzuziehen.

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